Über Christentum und Buddhismus

aus der Perspektive der vergleichenden Ideengeschichte

Yasuo KAMATA, übersetzt von Johanna NAUMANN



Im Folgenden möchte ich kurz meine Voraussetzungen in Bezug auf die Weltreligionen darlegen und dann versuchen, sie durch Beispiele zu verdeutlichen.

1) Jedes Lebewesen vesucht sein Leben in zweifacher Hinsicht zu gestalten: als Individuum und als Mitglied seiner Spezies. Der zweite Aspekt wird vom Menschen in den Gemeinschaften konkret realisiert, die auf den verschiedensten Formen von Gruppen und Institutionen basieren, wie Familie, Dorf, Kulturgemeinschaft und in neuerer Zeit in Form von Gesellschaft und Staat. Die Gemeinschaft ist nicht nur Ausdruck des Selbsterhaltungstriebes einer Artsondern auch der Raum, der die individuellen Mitglieder schützt und ihr Überleben sichert - solange sie den Spielregeln folgen.

Das Bewußtsein und der Ausdruck über den Selbsterhaltungstrieb werden deutlich, wenn eine existenzielle Gefahr das Überleben der Individuen oder der Gemeinschaft bedroht. Wenn eine Gefahr von außen kommt, ist der Versuch, siezu verhindern möglich oder zu mindest vorstellbar. Kommt die Gefahr von innen, ihrer Art entsprechend, so ist es wesentlich schwieriger, eine Lösung zu finden, um dieser Gefahr vorzubeugen. Für den Einzelnen ist die extreme Gefährdung der Selbsterhaltung der Tod, während es für die Gemeinschaft die Selbstvernichtungder eigenen Regeln (Gesetzlosigkeit) ist, z.B. religiöse Gebote, moralische Gesetze und in jüngster Zeit Recht und Ordnung.

Von alters her hat der Mensch verschiedene Weltanschauungen formuliert, die eine optimale Überlebenschance ermöglichen und zwar sowohl für das Individuum als auch für die gemeinschaftliche Existenz trotz ihrer unterschiedlichen Begriffsinhalte. Unter zahlreichen Versuchen sind die erfolgreichsten und über Jahrhunderte propagierten diejenigen, die wir als Weltreligionen bezeichnen.

2) Das Christentum war einer der erfolgreichsten Versuche. Die von einem Individuum mißachtete Vorschrift, nicht vom Baum der Erkenntnis zu essen, drückt nicht nur einen grundsätzlichen Widerstand gegen Gott aus (Erbsünde), sondern auch gegen die universalen Gesetze der Gemeinschaft - weil jede globale Verpflichtung so zu verstehen ist, daß sie von einem allumfassenden Gebieter kommt. Gott ist der Name für den höchsten Allgemeinheitsbegriff, den niemand manipulieren kann. Folgte der Mensch den Grundregeln der Gemeinschaft nicht,so wurde er von der Gemeinschaft, die ihn vor allen Gefahren beschützt hatte ausgeschlossen; er verlor sein Paradies. Dieser Aspekt der Bedrohung der Gemeinschaft ist verflochten mit dem anderen Aspekt der Bedrohung des Einzelnen, nämlich dem Tod. Wenn der Mensch den Gesetzen der Gemeinschaft nicht folgt, muß er sterben. Mythisch ausgedrückt, er wird sterblich. Diese Vorstellung entspricht den Gegebenheiten im Altertum. Man konnte physisch und geistig nur in einer Gemeinschaft überleben und es gab keine Gewähr für ein Leben außerhalb.

Wie kann nun der Tod als Ergebnis der Sünde aufgehoben werden? Hier trifft die allgemein übliche Logik zu: "Wenn A, dann B; wenn nicht A, dann nicht B". Wenn der Mensch die Gesetze der Gemeinschaft übertritt, muß er sterben. Will er jedoch zur Gemeinschaft zurückkommen, so ist er vor dem Tode gerettet. Mythisch gesprochen: Wenn der Mensch an der Gemeinschaft der Liebe Gottes teil hat, dann wird er das ewige Leben haben. (St. Paul, Rom. 6:23)

Diese beiden Aspekte des menschlichen Strebens nach Leben, nämlich als Individuum und als Mitglied einer Gemeinschaft, im weiteren Sinne seiner Spezie, wurden vereinigt im Dogma von der Erbsünde und der Erlösung durch Jesus Christus.

3) Der Buddhismus ist ebenso wie das Christentum eine erfolgreiche Antwort auf das gleiche Problem des menschlichen Strebens, indem auch er die oben erwähnte "allgemein übliche Logik" verwendet, allerdings mit einer ganz anderen Schlußfolgerung.

Der Buddhismus nennt das höchste Allumfassende "Erleuchtung". Der buddhistische Allgemeinheitsbegriff ist nicht beschränkt auf menschliche Wesen sondern bezieht sich auf alles Sein, so daß er nicht personifiziert werden kann wie der christliche Gott (Analogie). Erleuchtung ist die geistige und physische Verwirklichung (Erkenntnis und Übung) der allgemein gültigen Regeln (dharma). Wenn das Individuum sich etwas wünscht, was ihm fehlt, hat es bereits etwas klar erkannt, was nicht der Gegebenheit entspricht. Der Konflikt des Individuums mit der Wirklichkeit wächst und es erfährt Leid. "Leben ist Leiden" (Buddha). Zum Beispiel ist jede Ernährungshandlung eine Störung der Umgebung, indem man andere Wesen tötet, was dann Leiden verursacht. Das endgültige und unbezwingbare Leid ist der Tod. Davor gibt es aber die verschiedensten Arten von Leid auf der Ebene von Einzelwesen und auch auf der von Gemeinschaften. Das Wissen um die Herkunft des Leidens kann uns aber vom Leid befreien, denn Herkunft des Leidens bedeutet: Leid existiert so lange der Mensch versucht, etwas zu bekommen, was er vermißt oder zu behalten, was er verlieren könnte (z.B. Eigentum, Ehre, Liebe und Leben) und so lange er nicht wahrnimmt, daß das Vermissen und Bekommen zum Leben gehören wie die Fortpflanzung und das Sterben (Geburt und Tod). Unkenntnis ist die Ursache des Leidens. Wenn einem jedoch diese Kausalität bewußt wird, und man sich darin übt, dann wird der Wunsch nach Dingen, die nicht der Gegebenheit entsprechen verblassen und schließlich verschwinden. So wird man von der Kausalität des Leidens befreit(welche die Fortpflanzung und das Sterben, Geburt und Tod endlos wiederholt), und kommt in einen Zustand, der als "Nirvana" bekannt ist. Die Logik der buddhistischen Antwort ist auch: "Wenn A, dann B; wenn nicht A, dann nicht B".Wenn der Mensch die allgemeingültigen Regeln der Wirklichkeit nicht beachtet und weiterhin an dem festhält, was nicht den Gegebenheiten entspricht, kann ernicht vom Leid befreit werden. Wenn er jedoch die universellen Gesetzt anerkennt, und das Verhaftetsein beendet, dann ist er befreit. Er ist jetzt wiedereingegliedert in das einzigartige Gesetz der Wirklichkeit.

In diesem Zusammenhang bedeuten die typisch buddhistischen Ausdrücke wie "Nichts" oder "Leere" kein "Sein" im Sinne von "nicht sein" sondern sie sind Warnungen vor der gefährlichen Richtung, sich die universellen Regeln als transzendente Wesen vorzustellen, die abgehoben vom Individuum ihm geben können, was es vermißt. Aus buddhistischer Sicht ist der transzendente Seinsgedanke ein Ausdruck des Verhaftetseins, das zu überwinden ist. Dieses "sanfte Denken", welches das gefährliche Anwachsen des Selbstbewußtseins von Individuen zu überwinden versucht, mag in den frühen Kulturen zwischen dem 5. und 1. Jahrhundert a. Chr. begründet sein, auf dem Weg von China nach Griechenland.

Warum haben menschliche Wesen angefangen, über die Gefahr der individuellen Freiheit in Gemeinschaften nachzudenken? Es war zu einer Zeit, als die Menschen begannen, mehr physischen und geistigen Raum zu haben, was tendenziell dazu führte, die vorhandenen Regeln der Gemeinschaft zu überschreiten, und somit Konflikte auftraten.

Vor diesem geschichtlichen Hintergrund und dem Kontext der gegenwärtigen Diskussion der Postmoderne sollten wir die europäische Aufklärung des 18.Jahrhunderts prüfen, die anders als die ehemalige Erleuchtung, der Quietismus und die Bescheidenheit, darauf besteht, die individuelle Freiheit hervorzuheben, was zumindest in diesem Ausmaß ein besonderes Phänomen in der langen Menschheitsgeschichte darstellt. (Prien, März 1994)




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